Vakuum im Kopf: Wie kognitive Dissonanz die Marktstraße erfand

In Loitz wird eine Bürgersprechstunde zur Bühne kollektiver Angst. Ohne Beweise, aber mit starken Bildern entsteht ein Narrativ, das eine Straße in ein Symbol verwandelt – ein mentaler Brennpunkt im Kopf, nicht auf der Straße.

Sep 12, 2025 - 11:49
Sep 13, 2025 - 13:32
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Kapitel 7: Schluss: Vom Lernprozess zur Eskalation
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Kapitel 7: Schluss: Vom Lernprozess zur Eskalation

Am Ende dieses Abends im Alten Amtsgericht steht weniger ein Protokoll von Fakten als ein Muster des Lernens – allerdings ein Lernen eigener Art. Die Anwesenden haben nicht gelernt, wie man Beweise prüft oder wie Verwaltung und Polizei arbeiten. Sie haben gelernt, wie man aus Erzählungen Gewissheiten macht. Sie haben erfahren, dass man mit Schlagworten Wirkung erzielt, dass Wiederholung Glaubwürdigkeit ersetzt und dass Bilder im Kopf stärker sind als jede Zahl im Bericht.

Dieser Lernprozess bleibt nicht folgenlos. Was in einem Saal beginnt, kann sich in die ganze Stadt ausbreiten. Mit jedem Gespräch auf der Straße, mit jeder Erwähnung im Wirtshaus, mit jedem Bericht in der Zeitung wächst die Macht des Narrativs. Und je öfter es wiederholt wird, desto schwerer ist es, dagegen zu halten. Wer zweifelt, wirkt wie ein Störer. Wer nach Belegen fragt, gilt als naiv.

So vollzieht sich die Eskalation nicht durch neue Taten auf der Straße, sondern durch eine Verdichtung im Kopf. Das mentale Bild wird so stark, dass es irgendwann selbst zur Realität erklärt wird. Aus einem Vakuum der Beweise entsteht eine Fülle an EmotionenÄrger, Empörung, Angst. Und diese Gefühle verlangen nach Handlung.

Damit ist der Boden bereitet für den nächsten Schritt. Was als Erzählung im Kopf begann, wird nun auf die politische Bühne getragen. Dort, wo offizielle Räume geöffnet werden, wo Stadtvertreter sprechen und Medien berichten, bekommt das mentale Bild ein Siegel, einen Stempel der Legitimität.

Der Schlusssatz dieses ersten Teils lautet daher: Kein Brennpunkt auf der Straße – ein Brennpunkt im Kopf. Und genau dieser Brennpunkt wird in Teil 2 der Serie zur öffentlichen Inszenierung, die das Bild von der Marktstraße weit über die Stadt hinaus trägt.


Inhaltsverzeichnis der Serie


Serie – Direkt springen: Teil 1 · Teil 2 · Teil 3

Teil 1: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7

Teil 2: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8

Teil 3: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7


Serie »Kognitive Dissonanz im öffentlichen Raum«

Direkt zu: Teil 1 · Teil 2 · Teil 3

  1. Teil 1 – Vakuum im Kopf: Wie kognitive Dissonanz die Marktstraße erfand
    1. Seite 1/7 — Kapitel 1: Die Szene im Alten Amtsgericht
    2. Seite 2/7 — Kapitel 2: Psychologischer Rahmen – Kognitive Dissonanz im Lernmodus
    3. Seite 3/7 — Kapitel 3: Erste Stimmen – die Geburt des Narrativs
    4. Seite 4/7 — Kapitel 4: Verstärkung durch Wiederholung
    5. Seite 5/7 — Kapitel 5: Die Verschiebung – Vom realen Vorfall zum symbolischen Ort
    6. Seite 6/7 — Kapitel 6: Analyse – Das Problem entsteht im Kopf
    7. Seite 7/7 — Kapitel 7: Schluss – Vom Lernprozess zur Eskalation
  2. Teil 2 – Die Inszenierung: Wie Politik und Medien aus der Erzählung Realität machten
    1. Seite 1/8 — Kapitel 1: Der Weg vom Saal auf die Bühne
    2. Seite 2/8 — Kapitel 2: Offizielle Räume als Fürsprech
    3. Seite 3/8 — Kapitel 3: Politische Aneignung und Taktgebung
    4. Seite 4/8 — Kapitel 4: Medien als Multiplikator
    5. Seite 5/8 — Kapitel 5: Landespolitische Bühne
    6. Seite 6/8 — Kapitel 6: Symbolische Transformation
    7. Seite 7/8 — Kapitel 7: Analyse – Die Macht der Inszenierung
    8. Seite 8/8 — Kapitel 8: Schluss – Vom Symbol zur Dominanz der Wahrnehmung
  3. Teil 3 – Die Entzauberung: Fragen, die zurück zur Wirklichkeit führen
    1. Seite 1/7 — Kapitel 1: Vom Symbol zurück zur Sache
    2. Seite 2/7 — Kapitel 2: Der Fragenkatalog als Instrument
    3. Seite 3/7 — Kapitel 3: Transparenz durch offenen Verteiler
    4. Seite 4/7 — Kapitel 4: Auflösung der kognitiven Dissonanz
    5. Seite 5/7 — Kapitel 5: Die Grenze der Erzählung
    6. Seite 6/7 — Kapitel 6: Analyse – Fragen als Gegengift
    7. Seite 7/7 — Kapitel 7: Schluss – Was bleibt?

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