Vakuum im Kopf: Wie kognitive Dissonanz die Marktstraße erfand

In Loitz wird eine Bürgersprechstunde zur Bühne kollektiver Angst. Ohne Beweise, aber mit starken Bildern entsteht ein Narrativ, das eine Straße in ein Symbol verwandelt – ein mentaler Brennpunkt im Kopf, nicht auf der Straße.

Sep 12, 2025 - 11:49
Sep 13, 2025 - 20:22
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Kapitel 6: Analyse: Das Problem entsteht im Kopf
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Kapitel 6: Analyse: Das Problem entsteht im Kopf

Wenn wir an diesem Punkt innehalten und zurückschauen, zeigt sich eine klare Linie: In der Marktstraße selbst ist nichts passiert, das die Dimensionen rechtfertigen würde, die im Amtsgericht heraufbeschworen wurden. Keine Morddrohungen in den Akten, keine brennenden Barrikaden, keine Serie schwerer Delikte. Was bleibt, ist das Vakuum – und wie es gefüllt wurde.

Das eigentliche „Problem“ ist also nicht draußen vor den Türen, sondern drinnen im Kopf. Menschen haben die Diskrepanz zwischen Behauptung und fehlendem Beweis nicht ertragen können. Also nahmen sie das Gesagte als Wahrheit an, sprachen es nach, verstärkten es. Mit jeder Wiederholung wuchs der Eindruck, dass hier etwas Größeres im Gange sein müsse.

In dieser Dynamik tritt ein Mechanismus hervor, den man überall beobachten kann, wo Erzählung wichtiger wird als Nachweis: Das Vakuum der Fakten wird nicht aufgelöst, sondern verdrängt. Es wird überspielt, überdeckt, zugeschüttet mit Worten. Die Erzählung selbst tritt an die Stelle des Belegs, des Unstrittigen.

Die Marktstraße ist damit ein Musterbeispiel für diese Verschiebung. Sie zeigt, wie ein Ort zur Projektionsfläche werden kann. Jeder bringt sein eigenes Bild ein – Angst, Ärger, Abneigung –, und all das sammelt sich in einem Straßennamen. Von einem physischen Brennpunkt kann keine Rede sein. Was entsteht, ist ein mentaler Brennpunkt: eine Konzentration von Vorstellungen, die stärker wirkt als jede Zahl im Polizeibericht.

Und genau das ist die eigentliche Sprengkraft: Probleme im Kopf sind nicht leichter zu entschärfen als Probleme in der Realität. Im Gegenteil: Sie sind oft hartnäckiger, weil sie sich Belegen entziehen. Wer glaubt, etwas sei gefährlich, lässt sich durch das Fehlen von Beweisen kaum umstimmen – denn das Vakuum selbst wird als Beweis gedeutet: „Wenn nichts zu sehen ist, dann wird es schon vertuscht.“

Damit verschiebt sich das Problem: Nicht die Straße, nicht die Häuser, nicht die Bewohner sind das Zentrum der Auseinandersetzung. Sondern die Köpfe, die das Bild der Marktstraße tragen und weiterspinnen.


Kognitive Dissonanz im öffentlichen Raum


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Teil 1: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7

Teil 2: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8

Teil 3: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7


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