Die Inszenierung: Wie Politik und Medien aus der Erzählung Realität machten

Teil 2 zeigt, wie sich die Erzählung über die Marktstraße aus dem Amtsgericht hinaus in Politik und Medien verlagert. Aus einzelnen Stimmen wird ein kollektives Narrativ, das nicht auf Belegen, sondern auf Wiederholung, Emotion und Inszenierung beruht.

Sep 12, 2025 - 12:57
Sep 13, 2025 - 13:36
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Kapitel 3: Politische Aneignung und Taktgebung
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Kapitel 3: Politische Aneignung und Taktgebung

Auf die Bühne, die durch die Bürgermeisterin geöffnet wird, tritt einer besonders entschlossen: Mario Kehrle, Stadtvertreter der AfD. Er ist nicht nur Teilnehmer, sondern bald auch Moderator der Versammlungen. Schon durch seine Rolle als gewählter Politiker bekommt seine Stimme mehr Gewicht als die vieler anderer.

Kehrle versteht es, diesen Vorsprung zu nutzen. Er wiederholt die Vorwürfe, die bereits im Raum stehen, und verleiht ihnen damit Nachdruck. Jedes Mal, wenn er die Schlagworte „Randale“, „Terrorisierung“ oder „dauerhafte Bedrohung“ aufgreift, wirkt es, als ob sie ein Stück offizieller würden. Was zuvor ein loses Echo aus der Nachbarschaft war, klingt nun wie die Rede eines Mandatsträgers.

Damit verfolgt er eine klare Strategie: Aus einem Vakuum von Beweisen macht er einen politischen Handlungsdruck. Indem er wiederholt, zuspitzt und die Erzählungen in eine größere Rhetorik einbettet, entsteht der Eindruck: „Hier muss etwas geschehen.“ Und wer in diesem Moment nachfragt, ob es Belege gibt, wirkt nicht wie ein kritischer Geist, sondern wie jemand, der das Offensichtliche leugnen will.

So wird Kehrle zum Taktgeber der Debatte. Er gibt den Rhythmus vor: Behauptung, Wiederholung, Steigerung. Mit dieser Taktung verlagert sich der Schwerpunkt der Versammlungen. Es geht nicht mehr um einzelne Vorfälle, sondern um das große Bild: eine Straße, die angeblich zum Symbol für Kontrollverlust geworden ist.

Und genau das ist sein politisches Kapital. Er verwandelt individuelle Beschwerden in einen Resonanzboden für seine Partei. Was im Saal begann, nimmt Gestalt an als Teil einer Strategie: lokale Erzählungen in den nationalen Diskurs einzuspeisen.


Inhaltsverzeichnis der Serie


Serie – Direkt springen: Teil 1 · Teil 2 · Teil 3

Teil 1: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7

Teil 2: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7 · 8

Teil 3: 1 · 2 · 3 · 4 · 5 · 6 · 7


Serie »Kognitive Dissonanz im öffentlichen Raum«

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  1. Teil 1 – Vakuum im Kopf: Wie kognitive Dissonanz die Marktstraße erfand
    1. Seite 1/7 — Kapitel 1: Die Szene im Alten Amtsgericht
    2. Seite 2/7 — Kapitel 2: Psychologischer Rahmen – Kognitive Dissonanz im Lernmodus
    3. Seite 3/7 — Kapitel 3: Erste Stimmen – die Geburt des Narrativs
    4. Seite 4/7 — Kapitel 4: Verstärkung durch Wiederholung
    5. Seite 5/7 — Kapitel 5: Die Verschiebung – Vom realen Vorfall zum symbolischen Ort
    6. Seite 6/7 — Kapitel 6: Analyse – Das Problem entsteht im Kopf
    7. Seite 7/7 — Kapitel 7: Schluss – Vom Lernprozess zur Eskalation
  2. Teil 2 – Die Inszenierung: Wie Politik und Medien aus der Erzählung Realität machten
    1. Seite 1/8 — Kapitel 1: Der Weg vom Saal auf die Bühne
    2. Seite 2/8 — Kapitel 2: Offizielle Räume als Fürsprech
    3. Seite 3/8 — Kapitel 3: Politische Aneignung und Taktgebung
    4. Seite 4/8 — Kapitel 4: Medien als Multiplikator
    5. Seite 5/8 — Kapitel 5: Landespolitische Bühne
    6. Seite 6/8 — Kapitel 6: Symbolische Transformation
    7. Seite 7/8 — Kapitel 7: Analyse – Die Macht der Inszenierung
    8. Seite 8/8 — Kapitel 8: Schluss – Vom Symbol zur Dominanz der Wahrnehmung
  3. Teil 3 – Die Entzauberung: Fragen, die zurück zur Wirklichkeit führen
    1. Seite 1/7 — Kapitel 1: Vom Symbol zurück zur Sache
    2. Seite 2/7 — Kapitel 2: Der Fragenkatalog als Instrument
    3. Seite 3/7 — Kapitel 3: Transparenz durch offenen Verteiler
    4. Seite 4/7 — Kapitel 4: Auflösung der kognitiven Dissonanz
    5. Seite 5/7 — Kapitel 5: Die Grenze der Erzählung
    6. Seite 6/7 — Kapitel 6: Analyse – Fragen als Gegengift
    7. Seite 7/7 — Kapitel 7: Schluss – Was bleibt?

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