Ein Konzept mit Zukunft - Integratives Schülerpraktikum im Fotoatelier
Ein zweiwöchiges Praktikum für ukrainische Jugendliche im Fotoatelier Loitz wird zum Modell gelingender Integration: mit einfacher Sprache, klarer Struktur und sichtbaren Ergebnissen. Teil I zeigt, wie die Sprache Brücken baut – und was Schulen daraus machen können.

Kapitel 3: Ausgangslage - Worum es konkret ging
Bevor etwas beginnen kann, muss man verstehen, womit man es zu tun hat. In diesem Fall war die Ausgangslage klar – und gleichzeitig offen. Zwei Jugendliche, neu im Land, mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen im Gepäck. Ein Fotoatelier, das nicht nur Bilder macht, sondern auch Fragen stellt. Und der Wunsch, etwas zu versuchen, das mehr ist als ein gewöhnliches Praktikum.
Worum es dabei ganz konkret ging – und welche Überlegungen von Anfang an eine Rolle spielten – darum geht es in diesem Kapitel.
Zwei Schüler aus der 9. Klasse – neu in Deutschland, Muttersprache Ukrainisch
Zwei Jugendliche, beide in der neunten Klasse. Erst vor wenigen Monaten nach Deutschland gekommen. Die Sprache war noch ungewohnt, vieles im Alltag fremd, vieles in der Schule zu schnell. Zuhause wurde Ukrainisch gesprochen. In der Schule waren die Inhalte oft schwer greifbar – selbst dann, wenn sie übersetzt wurden.
Beide brachten ganz eigene Stärken mit: Der eine interessierte sich für Technik, war gern handwerklich unterwegs. Der andere beobachtete genau, war sprachlich wach und nahm vieles visuell auf. Was sie verband, war der Wunsch, sich einzubringen. Sie wollten verstehen – nicht nur über Worte, sondern im Tun.
Im Gespräch mit der Schule wurde schnell deutlich: Was sie brauchten, war kein Platz, an dem möglichst viel gleichzeitig passiert. Sondern ein Ort mit Klarheit. Mit verständlicher Sprache. Mit einem Ablauf, der wiedererkennbar ist.
Die Entscheidung, beide Schüler aufzunehmen, war bewusst getroffen. Nicht, weil es einfach war – sondern weil es sinnvoll war. Denn Lernen hat nicht nur mit Inhalten zu tun. Es hat mit Zugehörigkeit zu tun. Und Zugehörigkeit entsteht dort, wo man merkt: Ich werde gesehen. Auch wenn ich noch nicht viel sagen kann.
Unsere gemeinsamen Ziele: Medien-Grundlagen verstehen, Recht und Sicherheit kennen, Worte in Bilder übersetzen
Das Ziel dieses Praktikums war einfach und klar: Die Jugendlichen sollten grundlegende Werkzeuge der Medienarbeit kennenlernen – Kamera, Licht und Ton. Aber nicht im Sinne einer Ausbildung. Es ging nicht darum, alles gleich perfekt zu beherrschen, sondern erst einmal zu verstehen: Was gehört dazu? Wie funktioniert das überhaupt? Und worauf muss man achten, noch bevor man auf den Auslöser drückt?
Genauso wichtig wie die Technik war das Thema Sicherheit. Denn wer mit Bildern oder Tonaufnahmen arbeitet, bewegt sich schnell in einem Bereich, in dem Rechte eine Rolle spielen. Deshalb sprachen wir von Anfang an auch über Persönlichkeitsrechte, über Einverständniserklärungen und über den Schutz von Daten. Nicht, um Angst zu machen. Sondern damit klar ist: Auch das gehört dazu – ganz selbstverständlich.
Ein drittes Ziel war vielleicht nicht sofort sichtbar, aber es war da: Sprache sollte nicht nur erklärt, sondern erlebt werden. Begriffe sollten nicht im Raum stehen bleiben, sondern in Handlung übersetzt werden. Wenn jemand zum Beispiel einen Begriff wie „Lichtverlauf“ hört, soll er ihn nicht nur auswendig lernen. Sondern sehen, was er bedeutet. Und merken, was passiert, wenn man ihn anwendet.
Genau in dieser Verbindung lag der eigentliche Kern des Praktikums: Technik und Sprache, Ausdruck und Verständnis – alles gehört zusammen. Nicht alles auf einmal. Sondern Schritt für Schritt. Verständlich. Wiederholbar. Greifbar.
Unser gemeinsamer Rahmen: Zwei Wochen im Atelier, keine Außen- und Personenaufnahmen
Das Praktikum dauerte zwei Wochen. Montag bis Freitag, jeweils von neun bis fünfzehn Uhr. Dieser feste Tagesablauf war bewusst so gewählt. Er gab Halt, half bei der Orientierung – und machte es möglich, nach und nach eine gewisse Verlässlichkeit im Alltag aufzubauen. Das ist besonders dann wichtig, wenn Sprache und Umgebung noch ungewohnt sind.
Der Ort war das Atelier selbst. Kein Außendreh, keine Aufnahmen auf der Straße, keine Porträts von anderen Menschen. Das war kein Zufall, sondern Teil des Konzepts. Denn bevor man eine Kamera auf andere richtet, sollte man erst einmal verstehen, wie sie funktioniert – und was man mit ihr auslöst. Es ging darum, Verantwortung zu spüren, Technik zu begreifen – und auch sich selbst besser kennenzulernen.
Der Schwerpunkt lag daher auf Übungen, die man im Raum umsetzen konnte. Auf kleinen Szenen. Auf wiederholbaren Abläufen. Auf dem Aufbau von technischem Wissen und wachsendem Zutrauen. Es gab keine gestellten Porträts, sondern Stillleben. Keine fertigen Filmaufnahmen, sondern erste Entwürfe – zum Beispiel in Form kleiner Bildgeschichten oder Skizzen mit Kamera und Licht.
Diese Zurückhaltung war keine Einschränkung, sondern eine Möglichkeit. Sie machte es leichter, das Medium in Ruhe kennenzulernen – ohne gleich etwas produzieren zu müssen, das fertig oder vorzeigbar ist.
Es entstand Raum. Raum, um zu entdecken, wie Gestaltung funktioniert. Raum, um erste eigene Entscheidungen zu treffen – in zwei Sprachen, in kleinen Schritten, auf einem Weg, der sich entwickeln durfte.
Ein Konzept mit Zukunft – Integratives Schülerpraktikum im Fotoatelier
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