Kleine Brücke, großer Stillstand - Warum in Loitz der Weg über den Ibitzbach zum Problem wurde

Die Ibitzbach-Brücke in Loitz wird zum Prüfstein: DDR-Eigenbau (1974), seit 2021 teils gesperrt, nun Ersatz aus Spannbeton. Mehr als Technik: Mit dem Förder- und Kompetenzzentrum (ab 2026/27) entscheidet sie über Teilhabe, sicheren Schulweg von 170 Schüler*innen – und Vertrauen.

Okt 3, 2025 - 15:01
Okt 6, 2025 - 19:25
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Kapitel 4: Zwischen „Wahnsinn“ und Wirklichkeit – Was die neue Brücke wirklich kostet
Abgesperrt und vergessen? Die marode Ibitzbach-Brücke in Loitz – ein stilles Symbol für Warteschleifen, Umwege und verpasste Chancen.
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Kapitel 4: Zwischen „Wahnsinn“ und Wirklichkeit – Was die neue Brücke wirklich kostet


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Wenn Günter Lander heute auf die geplanten Kosten für den Neubau der Ibitzbach-Brücke blickt, schüttelt er nur den Kopf. Und man kann es ihm nicht verübeln. Damals, 1974, war er einer der Männer, die den Übergang mit errichtet haben – Betonplatten verlegt, Träger eingepasst, das Geländer geschweißt. Mit Werkzeugen, Muskelkraft und dem Willen, etwas Bleibendes zu schaffen. „Ein paar Wochenenden Arbeit, ein paar Dutzend Arbeitsstunden“, sagt er – „und jetzt soll das Ganze über 220.000 Euro kosten? Wahnsinn.

Die ursprüngliche Schätzung lag übrigens bei rund 190.000 Euro. Schon das sorgte für Stirnrunzeln in der Stadtvertretung, bei Anwohnern und Zeitzeugen. Doch wie so oft bei öffentlichen Bauprojekten verschoben sich die Zahlen – wie durch eine stille Logik, die heute fast schon als naturgegeben gilt. Neue Auflagen, steigende Materialkosten, zusätzliche Planungsleistungen. Und dann sind da noch die Sicherheitsvorschriften. DIN-Normen, Geländerhöhen, Barrierefreiheit, Umweltauflagen. Alles berechtigt, alles wichtig – aber eben auch teuer.

Diese Diskrepanz zwischen damaliger Eigeninitiative und heutiger Baupraxis ist mehr als ein nostalgischer Kontrast. Sie verweist auf ein strukturelles Problem. Denn viele Kommunen – nicht nur Loitz – stehen heute vor einem Dilemma: Sie dürfen oft gar nicht mehr so pragmatisch handeln wie früher. Bauen ist heute ein rechtlich regulierter Raum. Wer einen einfachen Fußgängerübergang plant, muss nicht nur Statik und Sicherheit gewährleisten, sondern auch Förderlogiken bedienen, Ausschreibungsfristen einhalten, Genehmigungsprozesse durchlaufen.

Ein Teil der Finanzierung kommt dabei aus Programmen wie BIG Städtebau bzw. der Städtebauförderung von Bund und Land. Für den Ersatzneubau in Loitz fließen etwa 207.000 Euro aus dem Programm für Städtebausanierung. Klingt erstmal gut – ist es auch. Denn ohne diese Mittel wäre der Bau für die Kommune kaum zu stemmen. Und trotzdem bleibt die Frage: Warum ist etwas, das früher mit Tatkraft und überschaubaren Mitteln machbar war, heute so aufwendig und kostenintensiv?

Besonders brisant wird diese Frage im Kontext des geplanten Förder- und Kompetenzzentrums Loitz (Schule für emotionale und soziale Entwicklung) in der ehemaligen Grundschule. Dort, wo künftig täglich rund 170 Schüler*innen begleitet werden, braucht es nicht nur Räume zum Lernen, sondern auch sichere Wege dorthin. Die Ibitzbach-Brücke ist ein zentrales Glied in dieser Kette: Sie ermöglicht den barrierefreien Zugang aus mehreren Stadtteilen und wird Teil eines inklusiven Verkehrsflusses sein. Der scheinbar hohe Preis steht also nicht nur für Beton und Planung – sondern für Teilhabe, Bildungsgerechtigkeit und verlässliche Infrastruktur.

Es geht hier nicht darum, Vorschriften schlechtzureden oder Fortschritte zu verteufeln. Im Gegenteil: Sicherheit, Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit – all das ist sinnvoll und notwendig. Aber es geht um ein Ungleichgewicht. Zwischen Aufwand und Nutzen. Zwischen Planung und Wirklichkeit. Und vielleicht auch zwischen dem, was möglich wäre, und dem, was am Ende tatsächlich geschieht.

Für viele Bürger*innen der Stadt Loitz bleibt vor allem eines spürbar: der Frust. Nicht über den Neubau selbst, sondern über die Trägheit, mit der solche Projekte durch die Instanzen rutschen. Über die Hilflosigkeit, wenn Zahlen steigen, Zeit vergeht und Wege versperrt bleiben. Und über die Kluft zwischen dem, was sinnvoll erscheint, und dem, was Realität ist.

Am Ende bleibt die Frage offen: Ist es wirklich „Wahnsinn“, wie Günter Lander meint – oder einfach der Preis einer modernen, regelkonformen Gesellschaft? Wahrscheinlich beides. Aber sicher ist: Es ist ein hoher Preis – und er wird nicht nur in Euro bezahlt, sondern auch in Vertrauen.


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Die Brücke über den Ibitzbach – Mehr als ein Bauwerk

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