Wenn das Gedenken politisch wird - und das Politische gedenkbedürftig
Der Beitrag analysiert die politische Zuspitzung rund um die Landtagswahl 2026 in Mecklenburg-Vorpommern. Im Spannungsfeld von Erinnerungskultur, medialer Aufladung und strategischer Kommunikation wird der Wahlkampf zur Bühne symbolpolitischer Konflikte.

Im Herbst 2026, zur voraussichtlich am 20. oder 27. September angesetzten Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, fällt der politische Kalender mit einer symbolisch hoch aufgeladenen Erinnerungswoche zusammen: dem Gedenktag für die Opfer des Faschismus – traditionell begangen am zweiten Sonntag im September. Dieses historische Datum, über Jahrzehnte hinweg ein antifaschistischer Kristallisationspunkt im kulturellen Gedächtnis Ostdeutschlands, gewinnt im Kontext wachsender gesellschaftlicher Spannungen, zunehmender Polarisierung und ideologisch geführter Auseinandersetzungen zur Landtagswahl erneut sprachlich-symbolische Brisanz.
Gerade in Mecklenburg-Vorpommern, wo erinnerungspolitische Fragen auf ein ortsspezifisches Resonanz-Milieu treffen, verbindet sich das Gedenken 2026 mit den Mobilisierungsstrategien zivilgesellschaftlicher Akteure, Parteien und Verbände zu einem komplexen Bedeutungsfeld. Was auf den ersten Blick wie ein Akt kollektiver Erinnerung wirkt, kann im medial und moralisch aufgeladenen Umfeld des Wahlkampfs rasch zum Austragungsort symbolpolitischer Deutungskämpfe werden – und damit zur Bühne selektiver Vereinnahmung oder normativer Überzeichnung.
Die Partei bewegt sich in diesem Spannungsfeld auf kommunikativ schwierigem Terrain. Sie ist einer Vielzahl historisch kodierter Zuschreibungen ausgesetzt, die sich nicht aus konkreten Positionierungen zum Gedenktag speisen, sondern aus ihrer strukturellen Verwundbarkeit gegenüber gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, erinnerungskulturellen Prämissen und medial vermittelten Projektionen. Die Partei wird damit häufig in deutungsbezogene Rollen gedrängt, die sie nur schwer produktiv wenden kann – zwischen implizitem Schuldkult und expliziter gesteigerter Entrüstung.
Ein Ausweg aus dieser asymmetrischen Lage liegt in einer strategisch kontrollierten, deeskalierenden Kommunikationslinie. Diese sollte weder defensiv noch provokativ, sondern eigenständig – wenn auch mit bewusst gesetzter Zurückhaltung – operieren. Möglich wäre eine symbolpolitische Positionierung, die Respekt vor dem historischen Anlass signalisiert, ohne sich fremden Narrativen zu unterwerfen. Eine stilistisch ruhige, respektvolle Tonlage – verbunden mit der klaren Distanzierung von agitatorischen Randgruppen – könnte dazu beitragen, die rhetorische Überspitzung zu entschärfen.
Gelingt diese Selbstpositionierung nicht, droht der Partei eine doppelte Marginalisierung: die moralische Stigmatisierung von außen und die kommunikative Überforderung von innen. Der zweite Sonntag im September avanciert so, aus wahlstrategischer Perspektive, zu einem neuralgischen Knotenpunkt – einem stillen Gradmesser für politische Souveränität und sprachliche Selbstbeherrschung.
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