Pädagogischer Rahmen: Selbst sichtbar werden - statt dargestellt sein
„Pädagogischer Rahmen – Selbst sichtbar werden - statt dargestellt sein“ ist ein zeitgemäßes Lehrformat für alle, die Wahrnehmung schulen, Räume öffnen und Gestaltung als Spur des Denkens begreifen. Acht Kapitel, Übungen, Reflexionen – und ein Gedanke, der bleibt. Im Sinne von Catharine Remberts Lehre.

Kapitel 7: Die Collage als Formverständnis
Ein Fokus auf Fragment, Kontext und schöpferische Offenheit
Collage ist nicht nur das Aneinanderfügen von Teilen – sie ist ein Denkraum. Sie erlaubt Widerspruch, Bruch und Neuordnung. In ihr treffen Fragmente aufeinander, die nie füreinander gedacht waren – und beginnen trotzdem, miteinander zu sprechen. Sie ist das künstlerische Einverständnis mit dem Unfertigen, dem Vielschichtigen, dem Nicht-Linearen.
In der Collage verbinden sich alle vorherigen Kapitel: Die Linie taucht als Fragment auf. Zwischenräume werden spürbar. Formen begegnen sich neu. Reduktion zeigt sich im Weglassen. Schatten bleibt als Spurenfeld erhalten. Und Wiederholung wird zur Struktur im Hintergrund. Nichts muss ganz sein – aber alles hat Bedeutung.
Manchmal beginnt eine Collage mit einem Schnitt. Ein Stück Zeitung. Ein Farbfeld. Ein digitaler Scan. Manchmal beginnt sie mit einem Fehler: Ein Riss. Ein Fleck. Eine Lücke. Doch genau darin liegt ihre Kraft. Collage ist die Kunst, mit dem zu arbeiten, was da ist – nicht mit dem, was perfekt wäre.
Digitale Tools erweitern diese Praxis: KI-Inpainting kann Leerstellen andeuten, ohne sie zu füllen. Negative-Fill-Techniken lassen bewusst Lücken bestehen. Scans von Zeichnungen treffen auf digitale Glitches. Und doch gilt: Die Geste bleibt entscheidend. Collage ist kein Stil – sie ist eine Haltung.
Eine Teilnehmerin beschrieb es so:
„Meine Collage war wie ein Gespräch mit all meinen Skizzen – und auch mit dem, was ich nicht gezeichnet habe.“
Am Ende steht nicht ein fertiges Bild, sondern ein Sichtfeld. Ein Statement, das aus Teilen ein Ganzes macht – nicht durch Vollständigkeit, sondern durch Präsenz.
Aufgabenstellung: Fragment trifft Fragment
Ziel: Stelle eine Collage zusammen, die mindestens drei verschiedene gestalterische Spuren aus deinem bisherigen Prozess aufgreift (z. B. Linie, Schatten, Form, Fragment, Text, Leerstelle). Arbeite dabei bewusst mit dem Unfertigen, dem Fehlerhaften, dem Zufälligen.
Mögliche Materialien:
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Analoge Fundstücke (Papier, Zeitung, Foto, Notiz, Faden, Schattenriss)
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Digitale Bestandteile (Screenshots, AR-Objekte, Scans, digitale Glitches)
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Selbstgeschaffene Elemente (Skizzen, Wiederholungen, Negativräume)
Reflexion: Benenne, was sich begegnet. Und was nicht. Wo du dich enthalten hast. Was du ausgeschnitten hast – und warum. Deine Collage muss nichts erklären – aber sie darf fragen.
Lernziele
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Kompositorisches Denken in Beziehungen umsetzen: Fragmentarisches als gestalterische Sprache verstehen.
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Ambivalenz aushalten und nutzen: Brüche und Kontraste bewusst gestalten.
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Materialübergreifend arbeiten: Analoges und Digitales gleichwertig verknüpfen.
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Visuelle Aussagen mit persönlichem Bezug entwickeln: Gestaltung als Reflexionsmedium erfahren.
Pädagogische Prinzipien
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Offenheit statt Perfektion: Die Collage lebt vom Unfertigen.
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Dialogisches Gestalten: Fragmente als Stimmen im Bild verstehen.
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Fehler als Form: Der Riss, der Schnitt, die Lücke – nichts davon ist Schwäche.
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Verknüpfung statt Addition: Nicht alles nebeneinander – sondern miteinander.
Mögliche Lernmethoden
Individuelle Studioarbeit - Die Collage entsteht als Abschlussarbeit – nicht geplant, sondern gesammelt. Aus Skizzen, Schatten, Fragmenten, Linien und Wiederholungen wird ein neues Bild zusammengesetzt. Kein Best-of, sondern ein Gespräch der Teile. Eine Verdichtung dessen, was war – und was sich daraus ergibt.
Gemeinschaftsprojekt - Alle bringen Fragmente mit – ein Stück Papier, eine Linie, einen Ausdruck. Daraus entsteht eine gemeinsame Fläche: eine Collage der Stimmen. Was der eine beginnt, führt der andere fort. Was verloren scheint, wird neu verbunden. Gestaltung wird zur geteilten Sprache, ohne viele Worte.
Digital-hybride Collage - Die Elemente kommen aus verschiedenen Quellen: analoge Fundstücke, gescannte Skizzen, digitale Effekte. Photoshop, Procreate oder Tablets sind Werkzeuge, keine Filter. Der Wechsel zwischen haptischer Spur und digitalem Eingriff wird nicht kaschiert – sondern bewusst gezeigt. Die Collage als hybrider Denkraum.
Serielle Collagenarbeit - Drei Varianten mit denselben Mitteln: dieselben Papiere, dieselbe Farbfläche, dieselbe Linie. Doch jede Fassung setzt die Teile anders. Einmal rhythmisch. Einmal zerbrechlich. Einmal offen. Der Unterschied wird nicht gesucht – er entsteht. Und macht sichtbar, was Gestaltung durch Wiederholung wirklich bedeutet.
Zum Weiterdenken
Eine Collage verlangt nicht, dass du alles weißt. Sie fragt nur, ob du bereit bist, zuzuhören. Den Teilen. Den Lücken. Dir selbst. Sie ist ein Ort, an dem alles zusammenkommen darf – nicht um sich zu glätten, sondern um zu zeigen: Ich bin nicht ein Bild, ich bin viele. Und jedes spricht anders.
Die Collage ist nicht das Ende. Sie ist ein Spiegel. Und manchmal: der Anfang einer neuen Sprache.
Wie ist Ihre Reaktion?






