7-Gedanken: Als Fotograf über die Beurteilung von Fotografie

Fotografie ist mehr als nur ein Abbild – sie ist Kunst, Handwerk und Ausdruck. In 7-Gedanken »Als Fotograf über die Beurteilung von Fotografie« erkundet der Autor die Vielfalt der Fotografie. Eine Einladung, Bilder bewusster zu sehen und ihre Geschichten zu entdecken.

Nov 24, 2024 - 16:49
Nov 24, 2024 - 18:45
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Gedanke 7: Der Dialog als Schlüssel zu authentischen Ergebnissen
Die Kunst in der professionellen Fotografie liegt darin, bei Passbildern den Anforderungen gerecht zu werden und abzuliefern.
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Gedanke 7: Der Dialog als Schlüssel zu authentischen Ergebnissen

In der Porträt- und Kunstfotografie spielt der Dialog zwischen mir und der Person vor der Kamera eine zentrale Rolle. Ohne Austausch, ohne Zuhören und ohne Vertrauen kann ein Porträt niemals authentisch werden. Jedes Gesicht trägt eine eigene Geschichte, und es ist meine Aufgabe, diese Geschichte in einem Bild lebendig werden zu lassen. Doch wie jede Geschichte braucht auch diese eine Grundlage: ein Verstehen, ein Hineinfühlen und ein echtes Interesse an dem Menschen, den ich fotografiere. Der Schlüssel zu einem gelungenen Porträt liegt für mich nicht allein in der Technik oder im geschulten Blick, sondern vor allem in der Verbindung, die ich mit dem Porträtierten aufbaue. Nur wenn sich die Person vor der Kamera wohlfühlt und zeigen kann, wer sie wirklich ist, entstehen Bilder, die ehrlich wirken und tief berühren.

Ein Porträt ist nie das Werk einer einzigen Person. Es ist kein einseitiger Prozess, bei dem ich allein entscheide, wie jemand dargestellt werden soll. Vielmehr entsteht ein Porträt durch Zusammenarbeit – einen Dialog, in dem Vorstellungen, Wünsche und manchmal auch Unsicherheiten geteilt werden. Häufig beginnt dieser Austausch lange vor dem eigentlichen Fotoshooting. Ich frage nach: Welche Botschaft soll das Bild vermitteln? Geht es um ein souveränes und professionelles Auftreten für den beruflichen Kontext? Soll das Foto eine persönliche Seite zeigen, vielleicht etwas Nachdenkliches, Fröhliches oder Intimes? Oder möchte die Person sich von einer ganz neuen, bisher ungewohnten Seite darstellen? Solche Gespräche geben mir wertvolle Einblicke und helfen mir, ein Gefühl für die Persönlichkeit meines Gegenübers zu entwickeln.

Ein Beispiel, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war die Zusammenarbeit mit einem jungen Architekten. Er benötigte ein Porträt für die Webseite seines Büros und hatte den Wunsch, dass das Bild seine Professionalität unterstreicht. Gleichzeitig sollte es auch seine kreative Seite sichtbar machen – die Leidenschaft, mit der er Räume entwirft und gestaltet. Während unseres Gesprächs erzählte er mir von seiner Arbeit, von der Balance zwischen Funktionalität und Ästhetik, die er immer wieder sucht. Aus diesen Erzählungen entwickelte sich die Idee, ihn nicht vor einem neutralen Hintergrund zu fotografieren, sondern in einer von ihm entworfenen Umgebung. Die Linien und Strukturen seiner Architektur flossen subtil in die Bildkomposition ein und verwoben sich mit seiner Präsenz. Das Ergebnis war ein Porträt, das nicht nur seine fachliche Kompetenz zeigte, sondern auch seine Vision als Architekt spürbar machte. Ohne den Dialog hätte dieses persönliche und ausdrucksstarke Bild nicht entstehen können.

Doch der Dialog endet nicht mit der Planung. Auch während des Fotografierens bleibt er entscheidend. Ich spüre oft, dass Menschen sich vor der Kamera unsicher fühlen und nicht genau wissen, wie sie sich bewegen oder welchen Ausdruck sie zeigen sollen. In diesen Momenten sehe ich mich in der Rolle eines Begleiters, der sie behutsam durch diesen Prozess führt. Ich gebe klare, aber einfühlsame Anleitungen, mache Vorschläge und lasse gleichzeitig Raum für spontane, natürliche Momente. Manche Menschen sind zunächst zurückhaltend und brauchen Ermutigung, sich zu öffnen. Andere bringen eine natürliche Präsenz mit, die ich nur noch in Szene setzen muss. In jedem Fall versuche ich, auf die Persönlichkeit meines Gegenübers einzugehen und sie so authentisch wie möglich einzufangen.

Besonders in der Kunstfotografie wird der Dialog oft noch intensiver. Hier geht es nicht nur darum, eine Person darzustellen, sondern eine Bildsprache zu entwickeln, die sie auf künstlerische Weise interpretiert. Ein Beispiel dafür ist ein Porträt einer Tänzerin, die mich darum bat, ein Bild zu schaffen, das die Freiheit und Eleganz ihres Tanzes ausdrückt. Zunächst nahm ich an, dass sie in Bewegung fotografiert werden wollte, doch im Gespräch stellte sich heraus, dass sie etwas ganz anderes suchte: ein Bild der Ruhe nach dem Tanz – den Moment, in dem der Körper still ist, aber die Emotionen nachklingen. Dieses Konzept entstand aus unserem Austausch und führte zu einem Porträt, das sie in einer meditativen Haltung zeigte, umgeben von weichem Licht und sanftem Schatten. Es war ein Bild, das ohne den intensiven Dialog niemals möglich gewesen wäre.

Neben diesen persönlichen Gesprächen schöpfe ich oft aus interdisziplinären Einflüssen. Literatur, Musik und Malerei inspirieren mich und fließen in meine Arbeit ein. Wenn eine Person mir von ihrer Liebe zu einem bestimmten Buch, einem Musikstück oder einer Kunstströmung erzählt, nehme ich diese Hinweise auf und lasse sie in die Gestaltung einfließen. Ein Schriftsteller, den ich porträtierte, sprach viel über seine Faszination für surrealistische Kunst. Dieses Gespräch inspirierte mich dazu, mit ungewöhnlichen Perspektiven und Lichtreflexionen zu arbeiten, die dem Bild eine träumerische, fast unwirkliche Qualität verliehen. Diese interdisziplinären Ansätze bereichern den kreativen Prozess und führen oft zu einzigartigen Ergebnissen, die den Charakter der porträtierten Person auf einer neuen Ebene sichtbar machen.

Für mich ist der Dialog nicht nur ein Mittel, um ein gutes Porträt zu schaffen – er ist der Kern meiner Arbeit. Ein Porträt wird erst dann authentisch, wenn es die Persönlichkeit und die Emotionen der abgebildeten Person spiegelt. Doch diese Gefühle zeigen sich nicht immer sofort. Es braucht Zeit, Vertrauen und ein Gespür für den richtigen Moment. Oft sind es kleine, flüchtige Augenblicke, die alles verändern: ein unerwartetes Lächeln, eine zarte Geste oder ein nachdenklicher Blick. Solche Momente einzufangen, ist für mich das Schönste an der Porträtfotografie.

Am Ende ist der Dialog eine Brücke zwischen mir und der Person vor meiner Kamera. Er ermöglicht es mir, sie wirklich zu verstehen und ein Bild zu schaffen, das nicht nur ihr Äußeres zeigt, sondern auch etwas von ihrer inneren Welt. Für mich ist ein gelungenes Porträt immer ein gemeinsames Werk – ein Zusammenspiel aus Offenheit, Kreativität und gegenseitigem Vertrauen. Genau darin liegt die wahre Kunst der Fotografie: nicht nur ein Gesicht zu zeigen, sondern die Geschichten, Gefühle und Nuancen, die dahinter verborgen sind. Ein solches Bild hat die Kraft, Menschen zu berühren, Verbindungen zu schaffen und eine Geschichte zu erzählen, die in Erinnerung bleibt. Das macht den Dialog zu einer unverzichtbaren Grundlage meiner Arbeit und zu einem der erfüllendsten Aspekte meines Berufs.


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