7-Gedanken: Die Schnittstellen Kreativen Erzählens
7-Gedanken »Die Schnittstellen Kreativen Erzählens« beleuchtet die Verbindungen zwischen Fotografie, Film und Theater. Der Autor erforscht, wie diese Künste Momente verdichten, Emotionen vermitteln und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit kraftvolle Erzählungen schaffen.
Gedanke 3: Interpretation der Realität
Die Art und Weise, wie Fotografen, Regisseure und Dramaturgen die Welt wahrnehmen und interpretieren, ist zutiefst individuell und doch in ihrer Essenz miteinander verwoben. Jeder dieser Künstler hat seine eigenen Mittel und Wege, um die Realität darzustellen, neu zu erschaffen oder zu transformieren. Als Fotograf arbeite ich daran, den Moment einzufangen und ihm eine Bedeutung zu verleihen, indem ich ihn durch meine Linse interpretiere. Der Regisseur hingegen gestaltet eine Szene, eine filmische oder theatralische Version der Realität, die durch Inszenierung und Darsteller zum Leben erweckt wird. Der Dramaturg wiederum gibt dieser inszenierten Welt Struktur und Tiefe, indem er die erzählerischen Fäden zieht, die das Geschehen mit Sinn und Bedeutung füllen.
In meiner Arbeit als Fotograf fällt mir oft auf, wie subjektiv die Realität wahrgenommen und dargestellt wird. Ein Bild zeigt zwar etwas „Reales“, aber dieses Reale ist stets durch den Filter meiner eigenen Wahrnehmung, meiner ästhetischen Entscheidungen und der besonderen Bedingungen des Moments geprägt. Wenn ich ein Porträt aufnehme, zeige ich nicht nur das Gesicht der abgebildeten Person, sondern ich interpretiere ihre Persönlichkeit, ihre Stimmung und ihr Wesen. Ein Beispiel dafür wäre ein schwarz-weißes Porträt, in dem der Verzicht auf Farbe die Konzentration auf den Ausdruck und die Emotion verstärkt. Hier interpretiere ich die Realität durch die Reduktion auf das Wesentliche, und gerade diese Einschränkung kann eine tiefere Bedeutung offenbaren.
Ein Regisseur verfolgt einen ähnlichen Ansatz, jedoch mit anderen Mitteln. Er wählt bewusst aus, was gezeigt wird, wie es gezeigt wird und in welchem Kontext es präsentiert wird. Nehmen wir beispielsweise einen Film wie "Der Pate" von Francis Ford Coppola: Die Realität der Mafia-Welt wird nicht einfach dokumentiert, sondern durch eine gezielte Inszenierung und visuelle Gestaltung zu einer packenden Erzählung geformt. Die Beleuchtung, die Dialoge und die Musik arbeiten zusammen, um eine Welt zu erschaffen, die in sich stimmig ist, obwohl sie nur eine inszenierte Version der Realität darstellt. Diese künstlerische Interpretation der Realität lässt den Zuschauer tiefer in das Geschehen eintauchen und gibt ihm die Möglichkeit, diese Welt zu verstehen und emotional zu erleben.
Der Dramaturg wiederum erschafft durch die Strukturierung der Handlung und der Figuren eine erzählerische Brücke, die die Realität sinnvoll macht. Seine Arbeit besteht darin, nicht nur das Was, sondern auch das Wie zu gestalten – also, wie eine Geschichte erzählt wird und wie die einzelnen Elemente zusammenwirken, um eine kohärente und bedeutungsvolle Erzählung zu formen. In einem Theaterstück wie „Hamlet“ von Shakespeare etwa ist es die dramaturgische Struktur, die die Handlung mit Sinn erfüllt und den Zuschauer durch die moralischen und emotionalen Abgründe der Figuren führt. Der Text allein ist nur ein Baustein; erst in der Inszenierung wird diese Interpretation der Realität durch die Interaktion von Sprache, Schauspiel und Bühne lebendig.
Als Fotograf sehe ich meine Rolle darin, in einem einzigen Moment etwas Dauerhaftes und Universelles einzufangen. Doch dieser Moment ist immer eine subjektive Interpretation der Wirklichkeit, geprägt von meinen eigenen Erfahrungen, meiner Sichtweise und meiner künstlerischen Intention. Ich erschaffe nicht einfach eine Kopie der Realität, sondern eine durch mich gefilterte Version. Genauso inszeniert ein Regisseur seine Vorstellung der Realität, indem er die Grenzen des filmischen oder theatralischen Raums nutzt, um Emotionen und Geschichten zu erzählen. Der Dramaturg formt schließlich die erzählerische Basis, auf der diese Inszenierungen aufbauen, und verleiht der Realität, wie sie im Film, Theater oder Fotografie dargestellt wird, einen tieferen Sinn.
Letztlich geht es in all diesen künstlerischen Feldern um die Interpretation der Realität, aber jede Disziplin nähert sich diesem Ziel auf ihre eigene Weise. Während ich als Fotograf den Augenblick festhalte und ihn durch visuelle Mittel deute, inszeniert der Regisseur die Bewegung und den Fluss der Handlung, und der Dramaturg gibt dieser Handlung ihre Struktur und Bedeutung. Gemeinsam schaffen wir eine vielfältige, vielschichtige Welt, die über die reine Abbildung hinausgeht und dem Betrachter oder Zuschauer neue Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnet.
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