7-Gedanken: Die Schnittstellen Kreativen Erzählens

7-Gedanken »Die Schnittstellen Kreativen Erzählens« beleuchtet die Verbindungen zwischen Fotografie, Film und Theater. Der Autor erforscht, wie diese Künste Momente verdichten, Emotionen vermitteln und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit kraftvolle Erzählungen schaffen.

Sep 12, 2024 - 19:13
Sep 12, 2024 - 19:32
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Gedanke 5: Ästhetische Verantwortung
Cinemagraphie verbindet die Ästhetik der Fotografie mit subtiler Bewegung des Films und eröffnet so neue Perspektiven auf den eingefangenen Moment.
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Gedanke 5: Ästhetische Verantwortung

Die Verantwortung für die Ästhetik liegt in jeder kreativen Disziplin tief verankert. Jeder Künstler – sei es der Fotograf, der Regisseur oder der Dramaturg – trägt eine wesentliche Verantwortung dafür, wie seine Kunst visuell und emotional wahrgenommen wird. Diese ästhetische Verantwortung zeigt sich in den Entscheidungen, die sie treffen, um eine Geschichte in einer Weise zu präsentieren, die nicht nur die Sinne anspricht, sondern auch tiefere Schichten der Bedeutung transportiert. In gewisser Weise ist die Ästhetik das Gefäß, in dem die Geschichte lebt und sich entfaltet. Sie verleiht dem Werk Form und Ausdruck und bestimmt, wie es vom Betrachter oder Zuschauer wahrgenommen wird.

Als Fotograf sehe ich meine ästhetische Verantwortung vor allem in der Wahl von Licht, Perspektive und Komposition. Diese Entscheidungen haben einen tiefgreifenden Einfluss darauf, wie die Stimmung eines Bildes vermittelt wird und welche Emotionen es beim Betrachter auslöst. Ein Bild kann durch harte Schatten und kühle Farben eine düstere, bedrohliche Atmosphäre schaffen oder durch weiches Licht und warme Töne Geborgenheit und Ruhe vermitteln. Hier liegt meine Verantwortung darin, nicht nur ein „schönes“ Bild zu schaffen, sondern die Ästhetik so zu gestalten, dass sie der erzählten Geschichte dient. Ein Beispiel dafür wäre ein Porträt, bei dem ich bewusst mit natürlichem Licht arbeite, um die Authentizität und das wahre Wesen der Person hervorzuheben. Hier stehe ich vor der Aufgabe, eine Balance zwischen der Schönheit des Bildes und der Ehrlichkeit der Darstellung zu finden.

Für den Regisseur liegt die ästhetische Verantwortung in der Inszenierung der Szenen, der Führung der Schauspieler und der gesamten visuellen Gestaltung des Films oder Theaterstücks. Er schafft die visuelle Welt, in der die Handlung stattfindet, und steuert dabei sowohl die emotionalen als auch die ästhetischen Aspekte der Erzählung. Ein Regisseur wie Stanley Kubrick beispielsweise war bekannt für seine extreme Präzision in der Bildkomposition und Beleuchtung, was seinen Filmen eine ästhetische Tiefe verlieh, die die emotionalen und thematischen Ebenen der Geschichte verstärkte. In „2001: Odyssee im Weltraum“ trägt die minimalistische, aber visuell beeindruckende Ästhetik dazu bei, die Weite und Isolation des Weltraums zu vermitteln, während die genaue Führung der Schauspieler und die Inszenierung von Stille und Bewegung die philosophischen Fragen des Films vertiefen. Hier geht es nicht nur um das Erzählen einer Geschichte, sondern darum, durch Ästhetik eine Welt zu erschaffen, in der sich diese Geschichte entfalten kann.

Der Dramaturg trägt ebenfalls eine ästhetische Verantwortung, allerdings auf einer anderen Ebene. Seine Aufgabe liegt im Bereich der Strukturierung von Handlung und Dialog, die das erzählerische Gerüst der Geschichte bilden. Hier gilt es, eine Balance zwischen Spannung, Emotion und sprachlichem Ausdruck zu finden. Ein gut durchdachter Spannungsbogen kann das Publikum über die gesamte Dauer eines Theaterstücks oder Films fesseln, während zu lange oder zu kurze Szenen das ästhetische Gleichgewicht stören könnten. Shakespeare ist ein gutes Beispiel für einen Dramaturgen, der eine unverwechselbare ästhetische Verantwortung in seiner Arbeit trägt: Durch die rhythmische Struktur seiner Dialoge und den Wechsel zwischen ernsten und humorvollen Momenten schafft er ein ästhetisches Gefüge, das seine Geschichten nicht nur erzählerisch, sondern auch auf der sprachlichen Ebene einzigartig macht. 

Als Fotograf fühle ich mich dieser ästhetischen Verantwortung tief verbunden. Jedes Bild, das ich schaffe, trägt meine Handschrift, und die Entscheidungen, die ich dabei treffe, haben nicht nur einen technischen, sondern auch einen ethischen und ästhetischen Aspekt. Es geht nicht nur darum, das, was ich sehe, darzustellen, sondern es in einer Weise zu formen, die der Geschichte gerecht wird, die ich erzählen möchte. Ästhetik ist nicht bloß eine Frage von Stil oder Schönheit – sie ist der Schlüssel, durch den die Geschichte, die hinter dem Bild liegt, spürbar wird. Sie verleiht der Darstellung eine Stimme, die ohne Worte eine Geschichte erzählt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle diese Künstler – Fotograf, Regisseur und Dramaturg – eine ästhetische Verantwortung tragen, die weit über die bloße Gestaltung des Sichtbaren hinausgeht. Ihre Aufgabe ist es, Räume zu schaffen, in denen sich die Geschichte entfalten kann, sei es durch Licht, Bildkomposition, die Führung von Schauspielern oder die Struktur eines Dialogs. Diese Räume sind ästhetisch so gestaltet, dass sie die erzählerische Tiefe unterstreichen und die Emotionen des Publikums lenken. Es ist eine Verantwortung, die bewusst und mit Bedacht ausgeübt werden muss, um dem Werk seine volle Kraft und Bedeutung zu verleihen.

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