Das Raster führt mit - Ordnungssysteme in Gestaltung, Fotografie und digitaler Anwendung

Raster sind mehr als Ordnungshilfen: Sie strukturieren, steuern und öffnen gestalterische Spielräume. Der Beitrag zeigt, wie Rastersysteme in Design, Fotografie und digitalen Anwendungen Orientierung schaffen - und Gestaltung tragfähig machen.

May 11, 2025 - 07:37
May 11, 2025 - 08:01
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Raster in der Fotografie - Struktur im Blick
Fragiles Liniengeflecht: verformt und überlagert – wie ein atmendes Raster zwischen Ordnung und Auflösung
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Raster in der Fotografie - Struktur im Blick

Manchmal reicht eine Linie – und der Raum beginnt zu sprechen.
In der Fotografie wirken Raster selten sichtbar, aber fast immer spürbar.
Sie ordnen, bevor etwas sichtbar wird. Nicht als Schablone.
Eher als stilles Versprechen, dass das Bild einen inneren Halt bekommt.

Die Drittelregel ist wohl die bekannteste Strukturhilfe. Zwei horizontale, zwei vertikale Linien teilen das Bild in neun Felder. An ihren Schnittpunkten entsteht Spannung – oder Ruhe.
Viele Kameras blenden diese Hilfslinien ein. Doch das Raster selbst?
Es bleibt unsichtbar. Und dennoch:
Was passiert, wenn ein Motiv auf der Linie liegt – oder knapp daneben?

In meiner fotografischen Arbeit – besonders bei Porträts im urbanen Raum – entsteht das Raster nicht nur im Sucher. Es liegt im Motiv selbst.
Fassadenachsen. Fensterscheiben. Schattenkanten. Linien, die sich mit dem Körper kreuzen oder ihn begleiten.
Sie sind da – man muss sie nur sehen. Und entscheiden, ob man sie nutzt.

Ein konkretes Beispiel: eine Betonfassade, glatt, gerastert.
Ich stelle die Person so, dass eine vertikale Fuge genau entlang der Schulterkante verläuft.
Ein minimaler Eingriff – und doch verändert sich das Bildgefühl.
Figur und Umgebung treten in Beziehung. Es entsteht nicht nur ein Bild, sondern eine Spannung zwischen Vorder- und Hintergrund.

Besonders deutlich wird das beim Arbeiten mit Mittelformatkameras.
Die Mattscheibe zeigt das Raster klar – und verlangt bewusste Entscheidungen.
Komposition wird nicht mehr aus dem Gefühl heraus gesetzt, sondern durchdacht.
Und auch wenn man digital arbeitet: Das Denken bleibt.

Ein Raster ist kein Korsett.
Es ist eine Einladung zum Sehen. Zum ordnenden Blick – und zum Zweifel daran.
Denn auch hier gilt: Nicht jedes Motiv braucht Struktur.
Aber jedes Bild profitiert davon, wenn Struktur mitgedacht wird.

Praxistipp: Raster bewusst mitdenken

  • Rasterlinien im Sucher aktivieren: Viele Kameras und Apps bieten eine Drittelraster-Funktion. Sie unterstützt nicht nur die Platzierung des Motivs, sondern hilft auch bei der Analyse des Hintergrunds.
  • Architektur als Orientierung nutzen: Gebäude bieten viele Rasterelemente – von Fensterachsen bis zu Bodenlinien. Diese Linien lassen sich gezielt als Kompositionshilfe einsetzen.
  • Hintergrund als Bildebene betrachten: Teste, wie sich das Verhältnis zwischen Figur und Raum verändert, wenn Linien durch Körperachsen oder Blickrichtungen verlaufen.
  • Sehgewohnheiten schärfen: Nimm dir Zeit, bestehende Fotos zu analysieren. Wo verlaufen Achsen? Welche Linien führen? Welche unterbrechen? Das trainiert das gestalterische Auge – auch jenseits des Sucherrasters.

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