7-Gedanken: Selbst sichtbar werden - statt dargestellt sein

Eine gestalterisch-philosophische Auseinandersetzung über Gestaltung als Haltung. In sieben Gedanken wird Sehen, Entscheiden, Reduzieren und Wahrnehmen neu erfahrbar – als Einladung zur Präsenz, nicht zur Abbildung. Ruhig. Präzise. Offen für Zwischentöne. Im Sinne von Catharine Remberts Lehre.

Apr 23, 2025 - 18:06
Apr 23, 2025 - 20:55
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GEDANKE 5: Der Schatten als Tiefe
Im Raum der Zwischenformen – Gedanken hängen, nicht als Botschaft, sondern als Bewegung im Raum.
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GEDANKE 5: Der Schatten als Tiefe

Was wir sehen, sehen wir durch Licht.
Das scheint selbstverständlich. 

Doch in Catharine Remberts Lehre
war es oft der Schatten,
der uns wirklich sehen lehrte. 

Nicht als Effekt.
Nicht als plastische Hilfe zur Raumillusion.
Sondern als stille Präsenz von Tiefe. 

In ihren Übungen wurde der Schatten nicht „benutzt“.
Er wurde verstanden –
als etwas Eigenes.
Nicht bloß Mitläufer.
Sondern Spur. 

Eine Spur in der Wahrnehmung.
Und in der Gestaltung. 

Der Schatten zeigt nichts.
Aber er weist auf etwas hin.
Er deutet.
Er lässt uns spüren –
ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. 

Vielleicht liegt darin seine Kraft:
Er zwingt die Form, in Beziehung zu treten.
Mit dem Raum.
Mit dem Gewicht.
Mit dem Unsichtbaren. 

Der Schatten markiert keine Grenze.
Er zieht keine Linie.
Er erzählt von etwas,
das sich nicht greifen lässt –
aber spürbar wird. 

Im Übergang vom Sichtbaren zum Angedeuteten
entsteht Tiefe.
Nicht als Illusion von Raum,
sondern als Intensität des Sehens. 

Gestaltung, so verstanden, heißt nicht:
etwas sichtbar machen. 

Sondern: sichtbar werden lassen,
was sonst im Hintergrund bleibt. 

Der Schatten lässt die Form atmen.
Er gibt ihr Ruhe.
Er stellt sie nicht bloß –
aber er macht sie spürbar. 

Ein Bild mit Licht und Schatten zeigt:
Klarheit entsteht nicht aus Kontrast.
Sondern aus dem Verhältnis. 

Und dieses Verhältnis ist nie stabil.
Nie eindeutig. 

Es verlangt vom Betrachtenden ein Mitgehen.
Ein Mitsehen.
Ein Aushalten. 

Denn der Schatten ist nicht da,
um verstanden zu werden. 

Er ist da, um Tiefe zu erzeugen –
nicht als Effekt,
sondern als Frage:

Was liegt hinter dem, was ich sehe? 

Rembert stellte diese Frage nicht laut.
Aber sie ließ sie entstehen –
in jedem Blatt,
in jedem Dunkel neben einem Licht. 

Und wer einmal gelernt hat,
den Schatten nicht als Störung zu sehen,
sondern als Teil der Form –
der sieht anders. 

Nicht nur mit dem Auge.
Sondern mit der Zeit. 

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