Das Raster führt mit - Ordnungssysteme in Gestaltung, Fotografie und digitaler Anwendung

Raster sind mehr als Ordnungshilfen: Sie strukturieren, steuern und öffnen gestalterische Spielräume. Der Beitrag zeigt, wie Rastersysteme in Design, Fotografie und digitalen Anwendungen Orientierung schaffen - und Gestaltung tragfähig machen.

May 11, 2025 - 07:37
May 11, 2025 - 08:01
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Flexibilität und Abweichung im Rastereinsatz - Regeln verstehen, um sie gezielt zu variieren
Fragiles Liniengeflecht: verformt und überlagert – wie ein atmendes Raster zwischen Ordnung und Auflösung
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Flexibilität und Abweichung im Rastereinsatz - Regeln verstehen, um sie gezielt zu variieren

Ein Raster ist eine Einladung zur Ordnung – aber nicht zum Gehorsam.
Es strukturiert, ja. Aber es kann mehr.
Es erlaubt, davon abzuweichen.
Und genau darin liegt oft sein größtes gestalterisches Potenzial.

Brüche im Raster sind kein Fehler. Sie sind Entscheidung.
Ein sichtbarer Akzent. Eine bewusste Irritation.
Eine Spannung, die entsteht, weil etwas nicht dem Gewohnten folgt.
Aber diese Spannung funktioniert nur, wenn sie aus dem System heraus gedacht ist – nicht dagegen.

Ich greife gern zu solchen Mitteln.
Zum Beispiel bei Editorial-Strecken: Eine Zwischenüberschrift, die über den Rasterrand hinausläuft. Ein Zitatkasten, der in den Weißraum greift.
Oder – wie bei der Kampagne Solidarität 2025 – ein zentriert gesetzter Textblock auf einer Fläche, die sonst streng horizontal gegliedert war.
Warum funktioniert das? Weil der Kontrast nicht zufällig ist.
Sondern gesetzt. Sichtbar. Begründet.

Wie weit darf man gehen?
So weit, wie der Inhalt es trägt.
Und das Raster es aushält.

Auch im digitalen Raum funktioniert dieses Spiel.
Eine Illustration, die in den Rand läuft.
Ein Button, der außerhalb des Spaltensystems steht.
Ein Modul, das sich querstellt – nicht um der Provokation willen, sondern weil es Aufmerksamkeit bündelt.

Das Raster? Es bleibt spürbar. Im Hintergrund.
Und genau darin liegt seine Stärke: Es trägt die Abweichung mit.

Das ist der Punkt.
Ein gutes System wird nicht schwächer, wenn man es bricht.
Im Gegenteil: Es zeigt, dass es verstanden wurde. Dass man sich darin bewegen kann – mit Haltung. Mit Rückgrat.

Abweichung ist kein Widerspruch zur Ordnung.
Sie ist Teil davon.
Wenn sie bewusst geschieht, wird sie lesbar.
Und dann zeigt sich, was Gestaltung wirklich ist:
Wahl – nicht Zufall.

Praxistipp: Raster gezielt variieren – nicht beliebig brechen

  • Raster zuerst vollständig anwenden: Nur ein durchdachtes System kann sinnvoll gebrochen werden. Erst wenn die Ordnung sichtbar ist, entfaltet die Abweichung ihre Wirkung.
  • Gestalterischen Fokus festlegen: Entscheide gezielt, wo ein Bruch notwendig ist – etwa für eine zentrale Aussage, ein Zitat oder einen starken Einstiegspunkt.
  • Kontrast nutzen, aber Anbindung wahren: Auch ein Element außerhalb des Rasters sollte sich visuell verankern – etwa durch Achsen, Fluchten oder wiederkehrende Abstände.
  • Brüche begrenzen: Nutze Rasterabweichungen sparsam. Zu viele davon entwerten sich gegenseitig – und das Raster verliert seine Funktion.
  • Dokumentieren und begründen: Halte fest, warum und wo das Raster verlassen wird. Das schafft Klarheit im Team – und sorgt für Konsistenz über Formate hinweg.

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