Die Unverletzlichkeit des Heims - oder: Was niemanden etwas angeht

Dieser Beitrag verteidigt das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung im Kontext der Marktstraße 151/191 in Loitz. Er stellt klar: Private Lebensführung ist kein öffentlicher Raum für Maßregelung. Kulturelle Vielfalt, Alltagspraxis und Hausgemeinschaften stehen nicht zur Disposition einer lautstarken Minderheit.

Jun 29, 2025 - 19:38
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Die Unverletzlichkeit des Heims - oder: Was niemanden etwas angeht
Die Unverletzlichkeit des Heims - zwei Menschen, zwei Welten, getrennt durch Licht, Raum und das unausgesprochene Recht auf Rückzug.

In den Häusern Marktstraße 151 und 191 in Loitz leben Familien, die ihren Alltag im Rahmen geltender Gesetze, Hausordnungen und nachbarschaftlicher Absprachen gestalten. Die Wohnungen wurden in den Jahren von 2019 bis 2022 saniert - baulich modernisiert, geprüft und als bewohnbar eingestuft. Die polizeilichen Akten bleiben unauffällig, die Verwaltung ist informiert - und doch scheint das Bedürfnis, sich von außen einzumischen, größer als jede Sachkenntnis.

Die Debatte über das, was hinter fremden Türen geschieht, sagt oft mehr über jene aus, die mit dem Finger zeigen, als über jene, die dahinter leben. Und wer in einem solchen Kontext die Hand erhebt - öffentlich, politisch oder medial -, sollte auch etwas zu sagen haben. Etwas Substanzielles. Etwas Belegbares. Etwas, das nicht in Klischees, sondern in Fakten gründet.

Das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung beginnt an der Tür der einzelnen Mietpartei - nicht vor der Haustür des Gebäudes. Es schützt vor staatlichen Eingriffen, aber auch vor entgrenzten Vorstellungen von öffentlicher Kontrolle über private Lebensführung. Wenn Fenster bei warmem Wetter offenstehen, Kinderwagen im Flur parken oder Müll am Vorabend der Sperrmüllabfuhr bereitgestellt wird, handelt es sich nicht um einen „Störfall“, sondern um gelebten Alltag - abgestimmt, nachvollziehbar und im Einvernehmen mit den Hausgemeinschaften.

Und ja, es gibt auch Kulturen, in denen man lange Vorhänge ins Fenster hängt, Teppiche an die Wände oder Tempotaschentücher bügelt. Nicht, weil man muss - sondern weil man’s darf. Willkommen im Privatleben.

Die Vorverlagerung moralischer Deutungen auf das äußere Erscheinungsbild bestimmter Bewohner:innen, oft begleitet von medialer Dramatisierung, hat in Loitz eine gefährliche Umkehr ausgelöst: Straftaten gegen die Häuser wurden dokumentiert - Schmierereien, Steinwurf - doch statt Solidarität zu üben, begann die Öffentlichkeit, die Betroffenen als Verursacher zu betrachten. Diese Täter-Opfer-Verschiebung ist nicht nur falsch, sie ist zersetzend. Sie untergräbt das Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit, Gleichbehandlung und soziale Zurückhaltung.

Wer in einer pluralen Gesellschaft leben will, muss aushalten, dass andere anders leben - ohne sich aufgedrängt, bedroht oder abgewertet zu fühlen. Die Wohnung ist keine Bühne für politische Projektionen. Sie ist Schutzraum, Rückzugsort, kultureller Mikrokosmos. Und solange keine Gefahr von ihr ausgeht, gibt es nichts zu regulieren, nichts zu kommentieren - und vor allem: nichts zu beurteilen.

Ebenso gehört zur demokratischen Reife, sich nicht einer lautstarken Minderheit von zwei Familien mit fünf Personen zu unterwerfen, die nur zwei Optionen duldet: vollständige Anpassung - oder Ausweisung.

Das jedoch ist kein Dialog, sondern eine Erpressung mit dem gestärkten Antlitz biedermeierlicher Wohlanständigkeit - gepflegt im Ton, aber unerbittlich im Urteil. Und das hat in einer offenen Gesellschaft keinen Platz.

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