Wurzeln, die niemand hält (2024)

In »Wurzeln, die niemand hält« (2024) beschreibt der Künstler eine Welt, in der die Weisheit des Menschen und die Stärke der Natur zerfallen. Die mächtige Eiche und der weise Mann verlieren ihre inneren Fundamente. Der Wind symbolisiert den Verlust von Klarheit und Halt, während alles um sie herum schweigt.

Okt 6, 2024 - 20:17
Okt 9, 2024 - 17:21
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Der weise Mann erkrankt, die alte Eiche schwankt; beiderseits die Wurzeln, niemand hält.

 

Der Wind,

der weht durch kranke Kronen,

durch weise Stirnen,

die verschonen

nicht mehr die Klarheit -

trüb und schwer,

die Weisheit sinkt,

das Herz wird leer.

 

Der weise Mann erkrankt,

sein Blick wird fahl,

kein Licht mehr in des Denkens Saal.

Die Eiche steht,

doch ächzt im Wind,

wo einst ihr stolzes Wurzelnkind

fest griff den Grund -

nun hohl und taub,

ein leiser Ruf aus tiefem Staub.

 

Beiderseits die Wurzeln schwinden,

die Hand,

die fassen könnte,

blind in

ferner Zeit,

verlor’ne Macht,

kein Sehnen hält,

was schwankend lacht.

 

Die Welt dreht sich,

der Sturm wird kalt,

doch wo die Wurzeln festgehalten

werden sollten,

ist nur Stille,

das Wissen gleitet,

bricht der Wille.

 

Der weise Mann erkrankt,

die alte Eiche schwankt,

und in dem Schwanken stirbt die Zeit,

die beiden stützen sich im Leid -

doch niemand da,

der beide hält,

die Wurzeln reißen,

schweigt die Welt.

 

#Gedanken des Künstlers in bildlicher Form

Zu »Wurzeln, die niemand hält« (2024)

Stell dir eine uralte Landschaft vor, beherrscht von einer riesigen, knorrigen Eiche, deren Äste sich seit Jahrhunderten majestätisch in den Himmel strecken. Ihr Stamm ist rau, voller Risse, die wie Adern durch das Holz ziehen. Doch einst war diese Eiche ein Symbol für Beständigkeit, fest verankert in der Erde, unerschütterlich.

Nun ist ihre Standhaftigkeit ins Wanken geraten.

Auf einem kleinen Hügel, unter der weit ausladenden Krone der Eiche, sitzt der weise Mann. Einst war er ein Leuchtturm des Wissens, seine Augen funkelnd vor Erkenntnis. Nun aber ist sein Blick leer und stumpf geworden. Die Falten auf seiner Stirn tragen nicht mehr die Spuren unzähliger Gedanken, sondern scheinen sich wie Narben in seine Haut gegraben zu haben - stummes Zeugnis einer inneren Erschöpfung, die er nicht mehr heilen kann. Einst dachte er, dass er die Antworten auf die großen Fragen des Lebens kannte, doch jetzt gleiten ihm selbst die Fragen aus den Fingern.

Der Wind erhebt sich, sanft zunächst, doch er wird bald stärker. Er fährt durch die Äste der Eiche, lässt die Blätter beben, als würden sie spüren, dass etwas Unabwendbares naht. Die Krone der Eiche schwankt - nicht mehr fest verwurzelt, wie sie es einst war. Die Äste ächzen im Wind, ein tiefes Stöhnen, das aus der Erde selbst zu kommen scheint. Der Boden, der sie einst trug, fühlt sich weich an, nachgebend, als würde die Erde sich selbst zurückziehen. Die Eiche kämpft im Wind, doch die Verbindung zur Erde ist hohl, wie eine Hand, die nicht mehr greift.

Der Weise spürt denselben Wind in seinem Geist. Seine Gedanken, die ihn einst wie ein Netz von tiefen Wurzeln hielten, lösen sich auf. Es ist nicht mehr der frische Wind der Inspiration, der durch sein Denken weht, sondern eine Kälte, die seine Gedanken nach und nach erfrieren lässt. Früher war da Klarheit. Früher konnte er die Welt in ihrem innersten Kern begreifen. Doch nun gleitet alles ins Nichts, wie der Staub von uralten Büchern, der sich auflöst, wenn niemand ihn berührt. Seine Stirn, einst glatt von ruhigem Wissen, ist nun verhangen von Verwirrung.

Der Boden unter seinen Füßen fühlt sich kalt an. Er tastet mit seiner Hand über die Erde, versucht Halt zu finden, wie er es immer tat - in den Wurzeln seines Denkens, seiner Überzeugungen. Doch es gibt nichts mehr. Der Kontakt ist gebrochen. Kein Wissen, keine Weisheit, keine Antwort.

Der Blick des Weisen wird trüb. Seine Augen spiegeln nicht mehr die Welt, sondern nur noch das tiefe, unaufhaltsame Verblassen seiner eigenen Gedanken. Er erinnert sich an früher, an Zeiten, in denen seine Lehren einen Unterschied machten. Seine Worte waren wie Eicheln, die sich in die Köpfe seiner Schüler pflanzten, aus denen Bäume der Erkenntnis wuchsen. Aber jetzt? Jetzt ist da nichts mehr. Keine Lehren, keine Schüler. Nur ein Echo, das in der Stille verhallt.

Die Eiche ächzt im Wind. Ihre Wurzeln, die einst tief in der Erde schlummerten, beginnen zu brechen. Es sind nicht mehr die starken, lebendigen Finger, die den Boden umklammerten und Leben daraus zogen. Sie sind hohl, trocken, als hätte der Boden selbst sie verstoßen. Die Erde um sie herum, einst so fruchtbar, ist nun hart, rissig und kalt. Die Eiche versucht, ihre Wurzeln tiefer zu graben, aber sie findet nichts. Der Wind zerrt an ihr, der Boden gibt nach, und die Wurzeln beginnen zu reißen. Ein leises, fast unhörbares Knacken - ein letzter Aufschrei, der ungehört bleibt.

Und so auch der Weise. Seine Gedanken, seine innere Weisheit, beginnen zu zerbrechen. Er spürt es, wie ein Riss, der durch sein Bewusstsein läuft, tief und unheilbar. Es gibt kein Zurück. Was ihn einst festhielt, die unsichtbaren Fäden, die ihn mit dem Wissen der Welt verbanden, sind gerissen. Sein Geist ist wie eine verlassene Bibliothek, in der die Bücher zwar noch stehen, aber ihre Seiten leer und verstaubt sind.

Der Wind wird stärker, und die Welt um sie herum wird kälter. Der Sturm tobt nun unbarmherzig, zerrt an den Ästen der Eiche und den Gedanken des Weisen. Es ist ein Moment des Gleichgewichts, ein letztes Ringen, bevor alles zerfällt. Der Weise und die Eiche - beide stützten sie einst ihre Umgebung, gaben Halt und Beständigkeit. Jetzt sind sie nur noch Schatten ihrer selbst, beide am Rande des Verfalls, schutzlos gegenüber den Kräften, die an ihnen zerren.

Mit einem dumpfen, endgültigen Laut geben die Wurzeln der Eiche nach. Der Boden, der einst fest war, zieht sich zurück, als hätte er beschlossen, die Eiche loszulassen. Der Stamm schwankt, erst langsam, dann immer schneller, bis die Eiche schließlich mit einem donnernden Knall in sich zusammenfällt. Der Sturm trägt die letzten Blätter fort, sie wirbeln durch die Luft wie verlorene Gedanken.

Der Weise spürt es, als würde derselbe Riss, der durch die Wurzeln der Eiche lief, auch ihn durchziehen. Er schließt die Augen. Kein Licht mehr, keine Klarheit. Die Gedanken, die ihn einst getragen haben, gleiten ins Nichts, zerfallen in Staub. Der Raum in seinem Inneren, einst erfüllt von Wissen und Bedeutung, ist jetzt leer, nur noch von Stille erfüllt.

Und in dieser Stille liegt die Einsicht. Ohne die unsichtbaren Wurzeln, die uns tragen - sei es in der Natur oder im Geist - kann nichts von Dauer sein. Die Zeit des Haltens ist vorbei. Niemand ist mehr da, der diese Wurzeln stützt oder schützt.

Die Welt schweigt, weil sie in dieser Tragödie ihre Stimme verloren hat.

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