SNORRI: Das Alte geht, Neues wird kommen (Kurzgeschichte)
In »Snorri - Das Alte geht und Neues wird kommen« nimmt uns der weise Wanderer Snorri mit auf eine fesselnde Reise durch eine Welt voller Geheimnisse und Magie. Als er wiederholt auf eine einsame Frau und ihre beiden Töchter trifft, offenbaren sich die tiefen Wunden der Vergangenheit und die verborgenen Mächte des Waldes. Gemeinsam mit den Bewohnern des Dorfes und den Tieren des Waldes sucht Snorri nach Wahrheit, Versöhnung und einem Weg zur Harmonie zwischen Mensch und Natur - Spüre deinen Puls.
An einem Morgen, beleuchtet von der aufgehenden Sonne, die das Dorf in ein goldenes Licht tauchte, saß Snorri, ein Wanderer mit tiefer Verbundenheit zur Natur, auf einer einsamen Bank vor einem schlichten Haus am Wegesrand. Dieses Haus, frei von jeglichem Schmuck wie Hecken oder einem Garten, bot nur eine Bank mit ein paar verlassenen Schuhen – ein stilles Zeugnis vergangener Besucher, deren Geschichten im Wind verwehten.
Als Snorri die Stille und die Schönheit des Morgens auf sich wirken ließ, wurde die Ruhe plötzlich durch das knarrende Geräusch der sich öffnenden Tür unterbrochen. Eine Frau, deren Gesicht von Sorgen gezeichnet war, trat hervor. Mit besorgter Stimme warnte sie: „Hey, alter Mann, such schnell das Weite, bevor der Waldgeist deine Anwesenheit bemerkt und dich in seine Schattenwelt zieht.“
Snorris Blick traf den ihren, voller Wärme und Verständnis. In einer Einladung, die ebenso sanft wie das Morgenlicht war, erwiderte er: „Fürchte dich nicht vor mir, edle Dame. Tritt näher, teile einen Moment der Ruhe mit mir und lass uns die Stille des Morgens gemeinsam genießen.“
So verbrachten sie gemeinsam ihre Zeit auf der Bank, den Blick entlang des Weges schweifend. Es kam niemand vorbei, kein Laut war zu hören, und so begann sie zu erzählen.
Die Luft zwischen ihnen vibrierte förmlich, als sie die Stille mit einer Frage durchbrach, die mehr als nur Neugier verriet: „Was führt dich hierher, zu diesem abgeschiedenen Ort, und wer bist du überhaupt?“
Snorri, dessen Augen das sanfte Flackern des Interesses einfingen, antwortete mit einer Stimme, so ruhig und tief wie der Wald selbst: „Mein Name ist Snorri, ein Wanderer auf Lebenspfaden, der in den Momenten der Rast die Kunst des Schnitzens pflegt. Meine Reise führt mich von Wald zu Wald, auf der Suche nach Erkenntnis und Verbundenheit mit der Natur.“
Während Snorri behutsam an seinem Wanderstock schnitzte, seufzte die Frau: „Ach, wenn nur der alte Waldgeist uns in Ruhe lassen würde. Er mag es nicht, wenn Männer versuchen, dieses Haus zu bewirtschaften. Ohne diese Plage wäre mein Leben so viel leichter.“ Mit einem weiteren Seufzer fuhr sie fort: „Aber so ist es nun einmal.“
„Was ist geschehen, liebe Frau?“, erkundigte sich Snorri interessiert.
Sie erzählte von ihrem Mann, der jung verstarb, angeblich durch einen Unfall. Auch die Knechte, die für Kost und Logis hier blieben, zogen bald wieder fort. „Es ist schwer, alles alleine zu bewältigen: das Holz aus dem Wald, die Fische aus dem Bach – alles benötigt Aufmerksamkeit“, klagte sie.
Snorri, nun nachdenklich, fragte mit neuem Mut: „Und eure Kinder, edle Dame, wo sind sie?“
„Mein ältester Sohn kümmerte sich um den Bach, wie es sein Vater vor ihm tat. Mein jüngerer Sohn war für den Wald und die Pfade zuständig, ebenfalls an der Seite seines Vaters.“ Mit Tränen in den Augen und vor Scham ihr Gesicht zuhaltend, fuhr sie fort: „Aber eines Tages kehrten sie nicht zurück: mein ältester Sohn verschwand am Bach, mein jüngerer im Wald. Mein Mann wurde tot aufgefunden, erschlagen unter einem Baum, der so entwurzelt wurde, als ob eine ungeheure Kraft am Werk war.“
Als Snorri, tief berührt von der herzzerreißenden Erzählung der Frau, die letzten Schnitzarbeiten an seinem Wanderstock vollendete, richtete er sich auf. In einer Geste des Respekts und der Dankbarkeit teilte er den Stock behutsam in zwei Teile und verankerte ihn im Erdboden direkt vor dem Haus – ein symbolisches Geschenk, das seine Wertschätzung für ihre Gastfreundschaft und Offenheit ausdrückte.
Mit einem Blick, der sowohl Weisheit als auch Mitgefühl widerspiegelte, sprach Snorri leise, aber mit Nachdruck: „Aus dem Ende des Alten erwächst der Beginn des Neuen.“ Seine Worte, getragen von einer tiefen Überzeugung, hinterließen eine spürbare Stille, die mehr sagte als tausend Worte.
Die Zeit verging, und als der Ruf des Hahns einmal mehr durch das Dorf hallte, fand sich Snorri erneut auf dem Weg zu jenem Haus, das einst Einsamkeit ausstrahlte. Doch dieses Mal wurde er von einem Anblick empfangen, der das Herz erwärmte: Das Haus stand nun stolz, umgeben von einem üppig blühenden Garten und einer lebendigen Dornenhecke, die Zeugnis des Wandels und der Erneuerung waren.
Mit bedächtigen Schritten näherte er sich dem Haus, das in der Mittagssonne erstrahlte. Kein Zeichen vom Waldgeist oder der Frau; nur die Türen und Fensterläden, die plötzlich zuknallten, ließen ihn aufschrecken.
Er trat an das Tor mit Dornen heran, das einst aus Teilen seines Wanderstocks erwachsen war. „Erkennst du mich noch, mein alter Freund, der du einst warst?“, fragte Snorri den Dornenbusch, der leise im Wind raschelte, als wollte er antworten. „Zusammen sind wir nie gereist, doch du hast sicherlich viel erlebt seit jener Zeit.“
Der Dornenbusch schüttelte sich und entließ all die zurückgelassenen Schuhe, Helme, Hosen und Fußlappen der vorbeiziehenden Knechte. „Das soll es nun gewesen sein“, sagte Snorri, woraufhin sich der Dornenbogen öffnete und die Geschichte sich in eine neue Zeit wandelte.
Die Tür schwang langsam auf und enthüllte die Silhouette der Frau, deren Anblick Snorri nach all den Jahren vertraut war. Hinter ihr, kaum ihre Neugier zügelnd, schaut zwei junge Mädchen hervor, deren Augen mit einer Mischung aus Scheu und Faszination auf den Fremden vor ihnen ruhten.
„Gestattet ihr mir, den Zauber eures Gartens zu betreten, der so liebevoll von Dornen umschlungen ist? Ich begehre nichts weiter, als für einen kurzen Moment in der Ruhe eures Heims zu verweilen“, sprach Snorri mit einer Stimme, die ebenso sanft wie das Licht der untergehenden Sonne war.
Die Mädchen, ein leises Kichern unterdrückend, traten einen Schritt zurück, während ihre Mutter, mit einem Lächeln, das Zeit und Sorge zu überwinden schien, Snorris Seite ergriff. Sie setzten sich gemeinsam nieder, und in diesem Augenblick war es, als hätte die Zeit um sie herum innegehalten. „Es scheint, als hätten die Jahre es versäumt, ihre Spuren in deinem Antlitz zu hinterlassen“, bemerkte Snorri mit aufrichtiger Bewunderung. „Ganz im Gegenteil, du wirkst, als hätte die Zeit dich mit neuer Lebenskraft erfüllt.“
Sie erwiderte lächelnd: "Schau, Snorri, die Mädchen sind nun 14 Jahre alt. Ihre Hilfe bei der Bewirtschaftung des Baches und des Waldes war uns eine große Erleichterung, und selbst die Tiere des Waldes, des Baches, freuen sich über ihre Anwesenheit.
Überwältigt von der Veränderung und der Fortführung des Lebens, fragte Snorri: „Wissen sie beide von ihren Brüdern?“
„Nein“, gestand sie, „ich habe es bisher nicht übers Herz gebracht, es ihnen zu sagen. "
"Aber jetzt sind sie alt genug. Es ist an der Zeit, dass sie die Wahrheit erfahren“, entschied Snorri.
Nachdem sie alle miteinander gesprochen haben und der Nachmittag vorüberging, sagte Snorri: “So lass uns zum Bach gehen und nach den Fischen, und in den Wald gehen, nach den Tieren schauen.”
Sie gingen zunächst zum Bach, wo der Biber bereits wartete und Snorri fragte den Biber: “Was war deine Aufgabe bisher, was hast du gemacht?” und der Biber antwortete: “Ich habe das Flussbett gepflegt, die Dämme zum Laichen der Fische gemacht. Ich sah dabei zu, wie hier Kinder hier spielten, sie lachten und sie haben mich so manches Mal zum Weinen gebracht. “ Die zwei Mädchen ganz verdutzt schauten sie zur Mutter und Snorri sagte, "Lass uns nun in den Wald gehen, Biber du, komm mit mein Freund.”
Im Wald angekommen, begrüßte bereits die Weiße Eule den Biber und die kleine Menschengruppe. Snorri fragte die Weiße Eule: “Was war deine Aufgabe bisher, was hast du gemacht?” und die Weiße Eule antwortete: “Ich habe den Wald des Nachts gehütet und tagsüber mit den anderen Tieren gepflegt, die Tiere des Waldes selbst zusammengehalten und immer rechtzeitig vor dem Waldgeist gewarnt. Ich sah dabei zu, wie hier Kinder hier spielten, sie lachten und sie haben mich so manches mal zum Weinen gebracht.“
"Enthüllt mir eure Geheimnisse, ihr Wächter des Waldes", rief Snorri, seine Stimme fest und doch voller Ehrfurcht, als er die Stille des Waldes durchbrach, seine Hände zum Zeichen der Bereitschaft und des Respekts gegenüber der Natur erhob. "Führt mich zu dem, den ihr euren Waldgeist nennt." Seine Worte, zunächst eher eine Bitte als eine Forderung, schwebten durch die Baumkronen, als ob sie nach jenem uralten Geheimnis griffen, das tief im Herzen des Waldes verborgen lag.
Mit einer Ruhe, die nur jene besitzen, die das Vertrauen der Natur gewonnen haben, wartete Snorri. Die Tiere des Waldes, zuerst zögerlich, begannen sich zu regen, als ob sie eine stumme Übereinkunft getroffen hätten. Sie führten ihn durch das dichte Unterholz, wo das Licht nur in sanften Strahlen den Boden berührte, bis zur Quelle ihrer Ehrfurcht – dem Waldgeist.
Die beiden Mädchen, eingeschüchtert, versteckten sich hinter der Mutter, die wiederum, vor Angst erfüllt, hinter Snorri Zuflucht suchte. Alle drei wussten, wie unheilvoll eine Begegnung mit dem Waldgeist ausfallen konnte. Sie waren sich auch bewusst, dass die Knechte und jene aus dem Dorf, die vom Waldgeist aufgestachelt wurden, Unheil über die Mutter gebracht und schlecht über die Mädchen gesprochen hatten.
Snorri hob seinen Wanderstock mit der rechten Hand hoch und sprach beruhigend: „Seht genau hin, ihr Tiere des Waldes, gute Frau und ihr Mädchen, und fürchtet euch nicht.” Snorri fuhr mit tiefer Stimme weiter fort: “Zeige dich, du Wesen der Natur, in welcher Gestalt du auch immer bist.“ Er machte eine kurze Pause, um sicherzustellen, dass seine Worte wirkten.
„Denn ich bin der Waldgeist, nicht wie du, ein verbitterter alter Mann im Dickicht sich verkriecht, den ihr fürchten lernen müsst.”
Snorri selbst verkündete zugleich: “Von diesem Moment an beginnt eine neue Ära.“
Mit diesen Worten ließ Snorri seinen Wanderstock mit Nachdruck auf den Waldboden treffen, wo er tief in die Erde einsank.
Zunächst schauten die Tiere ganz verdutzt, dann auch die Mutter, die hinter Snorris Rücken hervortritt.
Die beiden Mädchen, neugierig geworden, fragten ihre Mutter: „Wer ist er?“
Darauf antwortete die Mutter: „Der im Unterholz, es ist mein Stiefvater, der zu meiner Mutter kam, weit bevor wir in jungen Jahren von zu Hause geflohen sind. Es war weit, sehr weit vor eurer Zeit“
Als der Stiefvater anfing wegzulaufen, flog die Weiße Eule um seinen Kopf herum, um ihn zu verwirren. Der Biber selbst, der den entwurzelten Baum bereits kannte, führte Snorri und die Mutter zur großen Wurzel und scharte weiter im Wurzelgeflecht.
Im Wurzelgeflecht, das zugleich ein Nest für verwaiste Vögel war und nur die kleinen Täubchen verbarg, sagte der Baum zu Snorri “Nehmt als Dank diese zwei Täubchen mit lang, wohlbehütet in euren Wald, als Verbindung zwischen eurem und meinem Wald.
Der Abend trat so langsam ein, denn in dieser Welt musste Snorri sich beeilen.
Snorri sagte in einer ernstzunehmenden tiefen Stimme: “Alter Mann, so gehe in dein Dorf zurück, wo du geboren und aufgewachsen bist und lasset jede Frau und jedes Kind, in Ruhe, und auch dort bei ihrem Mann, bei ihren Vätern, ab jetzt beginnend."
Snorri hob den Wanderstab, betonte: "Gehet jetzt und sofort!”
Er ging und verschwand im Dickicht, bis ihn niemand mehr sah.
So begleiteten die Tiere des Waldes die Menschen und Snorri zurück zum Haus der Mutter und zwei Mädchen aus dem Wald heraus.
Als sie den Ort erreichten, der einst von Stille und Verlust gezeichnet war, vollzog sich vor ihren Augen ein Wunder der Verwandlung. Die weiße Eule und der Biber, lange Zeit Hüter des Geheimnisses des Waldes, nahmen wieder die Gestalt der beiden Brüder an, ein herzliches Wiedersehen, das die Kraft der Hoffnung und die Unzertrennlichkeit der Familie symbolisierte. Snorri, der weise Wanderer, hielt sanft die zwei Täubchen in seinen Händen, die als Boten der Versöhnung und des Friedens dienten. Mit bedächtigen Schritten näherte er sich dem Rand des Waldes, bereit, in die Anderswelt zurückzukehren, sein Auftrag erfüllt, die Harmonie des Waldes und Dorfes wiederherzustellen.
In jenem Moment, als Snorri die Schwelle zwischen den Welten überschritt, vernahm er noch ein kurzes Knacken aus dem Wald. Leise sprach er zu sich selbst: „Das wird der alte Baum gewesen sein, der sich schon die ganze Zeit aufrichten wollte.“ und lachte leise, während er davon sprach.
Damit hinterließ Snorri eine Spur von Erkenntnis und Wandel im gesamten Wald. Der Vater blieb weiter, verunfallt, im Wald zurück.
Der alte Rosenzweig, der in einem neu erblühten Garten prangte – nun in Rot und schimmernd Weiß, je nachdem von welcher Seite man ihn sah – stand als ewiges Symbol für die Verbundenheit aller Seelen des Waldes. Er erzählt von einer Liebe, die über die Grenzen des Sichtbaren hinausgeht, ein Anker in Zeiten des Sturms und ein Licht in der Dunkelheit, in einer Welt, deren Tiefe und Komplexität nur durch das Herz verstanden werden kann.
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